Entwicklertagebuch #10
Datum: 27.01.2010

Das Balancing von „Drakensang: Am Fluss der Zeit“ oder Was Zahlenkünstler und Seiltänzer gemeinsam haben

Im zehnten von insgesamt 15 Entwicklertagebüchern wollen wir euch die Arbeit unserer Abteilung Balancing vorstellen. Wie der Name schon sagt, sorgt diese Abteilung dafür, dass alles im Spiel in Balance, im Gleichgewicht, gehalten wird. Man könnte es auch als die Kunst der Angemessenheit bezeichnen. Ihr als Spieler wollt angemessen belohnt werden und auch angemessenen Herausforderungen gegenüber stehen. Ihr wollt also weder über- noch unterfordert werden, denn wenn es da ein Ungleichgewicht gibt, fühlt sich das Spielerlebnis nicht mehr gut an. Wäre das Spiel zu einfach, würde euch das ebenso stören, als wenn es zu schwer wäre.

Ein nicht zu unterschätzender Teil dessen, was die Anziehungskraft von Rollenspielen ausmacht, ist die Möglichkeit für des Spielers seine Figur im Verlauf des Spiels weiterzuentwickeln. Als Neuling besitzt man am Anfang nicht viel mehr als das Hemd, das man am Leibe trägt, und vielleicht noch einen Stock, mit dem man sich verteidigen kann. Bis zum Ende des Spiels entwickelt man sich zu jedoch zu einem starken und voll ausgebildeten Ritter, Magier oder ähnlichen. Dieser Entwicklungsprozess sollte nicht zu schnell vonstatten gehen, denn ihr wollt ihn ja gerne bewusst erleben und genießen. Er sollte aber auch nicht zu langwierig sein, denn dann wärt ihr des Spiels irgendwann überdrüssig.

Unsere Balancing-Abteilung bestimmt, wie viel Schaden etwas anrichtet, wie viel es wert ist, wie stark ein Zauber ist usw. Wie wichtig die Arbeit unserer Balancer ist, können wir gerade wieder in der Produktion sehen. In „Drakensang: Am Fluss der Zeit“ wird es nämlich einen neuen Zauber geben. Der ist im Moment aber noch so mächtig, dass euer Charakter, würde er diesen Zauber anwenden, in der Lage wäre, Massen von Gegnern mühelos zu schlagen, ohne dass ihr selbst auch nur eine Taste drücken müsstet. Um welchen Zauber es sich genau handelt, wollen wir euch natürlich an dieser Stelle noch nicht verraten. Fakt ist aber, dass dieser Zauber viel zu stark wirkt und auf jeden Fall noch austariert werden muss. Auch dafür ist das Balancing zuständig.

Ein anderes Beispiel sind unsere Waffen. Ein Schwert etwa kann ja nicht nur einen bestimmten Schaden anrichten, sondern verfügt auch über bestimmte Eigenschaften. All das muss beim Balancing berücksichtigt werden, wenn der Wert einer solchen Waffe festgelegt werden soll. Wie viel Geld würde man zum Beispiel bekommen, wenn man das Schwert verkauft? Der Geldfluss spielt überhaupt eine entscheidende Rolle bei der Gewichtung. Hättet ihr zu viel und könntet euch auf einmal alles kaufen, ohne wirklich haushalten zu müssen, könnte praktisch gleich alles kostenlos sein. Hättet ihr zu wenig, würdet ihr euch auch ärgern, weil ihr euch die ganzen nützlichen Dinge – tolle Rüstung, tolle Waffen, etc. – nicht leisten könntet.

Unabdingbar bei Spielen wie unserem „Drakensang: Am Fluss der Zeit“ sind auch die Wahlmöglichkeiten. Wenn alles möglich wäre, beziehungsweise alles funktionieren würde, egal, wie ihr euch entscheidet, würde ein großer Reiz verloren gehen. Sicherlich ist es euch wichtig, dass eure Entscheidungen auch wirklich Konsequenzen für den Spielverlauf haben. Auch hier ist unser Balancing gefragt.

Es balanciert also grundsätzlich alles aus, was in der Produktion mit Zahlen zu tun hat. Unsere Balancer müssen sehr viel rechnen. Um alle Werte abzubilden und den Überblick zu behalten, müssen sie mit einer Unmenge von Excel-Tabellen arbeiten, die ineinander greifen und sich verzahnen. Sie sind also beinahe so etwas wie Artisten, nur dass sie nicht mit Keulen, sondern mit Zahlen jonglieren.

Die Abteilung Balancing ist bei ihrer Arbeit sehr auf unsere Quality Assurance (QA) angewiesen. Vor allem, wenn es gilt, einen Kampf ausgeglichen zu gestalten, in dem es mehrere Gegner gibt. Bei einem einzelnen Gegner ist das noch relativ einfach. Dafür gehen unsere Balancer in die Tabelle rein, schauen sich seine Werte an und schrauben je nach Bedarf an den Lebens- oder Schadenspunkten. Wenn jedoch fünf Gegner auf einmal ins Spiel kommen und deren Zusammenwirken zu bedenken ist, lässt sich das schlecht alleine anhand der Tabellen regulieren. Da braucht es dann die QA. Die testet den Kampf direkt im Spiel und sagt dann, ob er sich zu einfach oder zu schwer anfühlt. Natürlich müssen wir beachten, dass die QA vom vielen Testen das Spiel schon in- und auswendig kennen und die Tester die Kämpfe immer recht mühelos bestehen: Wenn sie etwas als einfach empfinden, können wir davon ausgehen, dass es etwa auf Mittelmaß gebalanct ist. Wenn noch nicht einmal die es schaffen, dann ist es viel zu schwer.

Zahlen, Zahlen, Zahlen – das klingt in euren Ohren sicherlich ziemlich trocken. Dennoch ist das Balancing eine faszinierende Sache, wenn man weiß, was die Zahlen bewirken, was sie in der gesamten Produktion ausmachen. Allerdings können auch unsere Balancer das Ganze nur bis zu einem bestimmten Grad auf Zahlen abstrahieren. Dann kommt die Phase des intensiven Testens. Da muss das Spiel gespielt werden, um ein wirkliches Gespür dafür zu bekommen, wie sich alles anfühlt – ob es zu schwer, zu leicht oder genau richtig ist. Gegebenenfalls kann dann nachjustiert werden.

Neben all dem gilt es zu beachten, dass es verschiedene Spielertypen gibt: Einige von euch mögen es eher, wenn das Spiel etwas einfacher ist, die anderen wollen gerne große Herausforderungen bestehen. Um dem gerecht zu werden, wird es in „Drakensang: Am Fluss der Zeit“ unterschiedliche Schwierigkeitsgrade geben. Auch da ist wieder das Balancing gefordert. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, wie man unterschiedliche Schwierigkeitsgrade erzeugt. Zum Beispiel kann man an den Lebens- oder Schadenspunkten der Gegner schrauben.

Bei all dem verlieren wir natürlich nie unsere Vorlage aus dem Auge: Zwar nutzen wir einige Freiheiten, um ein Rollenspiel zu schaffen, das optimal für das Spielen am Computer funktioniert – zugleich halten wir uns aber zu gut wie möglich an das, was in DSA seit vielen Jahren so beliebt ist. Was die Freiheit in der Charaktererschaffung angeht, ist DSA ungeschlagen. Es gibt kaum ein Spiel, das dem Spieler dabei so viel Freiheit lässt.
Deshalb hat unser Balancing eine goldene Regel für sich aufgestellt: Beim Balancen muss immer davon ausgegangen werden, dass grundsätzlich alle alles machen können. Darum muss alles in der Waage gehalten werden, damit der Fluss der Zeit gleichmäßig fließt und nicht irgendwo ins Stocken kommt oder über die Ufer tritt.

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geschrieben von Torgan