Entwicklertagebuch #11
Datum: 04.02.2010

Die Cutscenes von „Drakensang: Am Fluss der Zeit“ oder Film ab!

Im elften von insgesamt 15 Entwicklertagebüchern stellen wir euch die Arbeit an unseren Cutscenes vor. Ein gutes, eingespieltes Team ist Voraussetzung, um ein überzeugendes Computerspiel zu entwicklen. Insbesondere aber bei den Cutscenes zeigt sich, wie wichtig Teamwork ist. Denn die Cutscenes zu erstellen erfordert nicht nur viel Zeit. Es sind auch die unterschiedlichsten Abteilungen am Prozess beteiligt

Bevor wir euch allerdings erklären, wie eine Cutscene entsteht und wer alles daran beteiligt ist, möchten wir kurz der Frage nachgehen, was eine Cutscene überhaupt ist: Cutscenes sind grundsätzlich mit Kurzfilmen vergleichbar was Kameraeinstellungen und Schnitt betrifft. Sie geben eine Handlung im Spiel wieder, die nicht direkt vom Spieler beeinflussbar ist. Grob können drei Arten von Cutscenes unterschieden werden: Intro, Extro und Zwischensequenz. Während ein Intro das Spiel einleitet und erste Hinweise auf die Handlung gibt, sorgt ein Extro für einen fulminanten Abschluss. Wenn im Spielverlauf etwas Wichtiges passiert, was der Spieler auf gar keinen Fall verpassen soll, kommen die Zwischensequenzen zum Einsatz.

Doch Cutscenes dienen nicht nur dazu Informationen zu vermitteln. Sie sollen auch Atmosphäre erzeugen und die Handlungsstränge verdichten. Da wir bei „Drakensang: Am Fluss der Zeit“ viel Wert auf die Geschichten zwischen den Figuren legen, nutzen wir Cutscenes etwa, um den Figuren mehr Tiefe zu geben, ihre Hintergründe zu beleuchten und die komplexen und oft auch amüsanten Beziehungsgeflechte zu verdeutlichen.

Aber nun zu der Entstehung einer Cutscene: Los geht es mit der Inhaltsplanung. Hierzu setzen sich die Leute aus den verschiedensten Abteilungen zusammen und besprechen, was in der Cutscene passieren soll. Ganz wichtig ist es, schon jetzt klarzustellen, welche inhaltlichen und technischen Rahmenbedingungen einzuhalten sind. Die technischen Vorgaben durch das Level-Design beispielsweise müssen auf einen Nenner gebracht werden mit den Ideen der Autoren damit wir zu einem späteren Zeitpunkt nicht feststellen müssen, dass Theorie und Praxis nicht zusammenpassen.

Das Skript wird von unseren Autoren in der klassischen Drehbuchformatierung mit Dialogen und Regieanweisungen geschrieben. Als Faustregel entspricht eine Drehbuchseite etwa einer Minute Cutscene. Daraus lässt sich gut ableiten, wie lange eine Cutscene dauert. Insgesamt haben wir für „Drakensang: Am Fluss der Zeit“ 60 Drehbuch-Seiten, also circa eine Stunde Zwischensequenzen.

Sobald das Skript vorliegt, finden sich wieder Kollegen aus den einzelnen Abteilungen zusammen und tauschen sich über den Handlungsablauf aus. Meistens wird an einer Tafel das Storyboard – eine Art Comic das die Einstellungen der Cutscene beschreibt – gezeichnet. Dadurch sehen wir gleich, an welchen Stellen die Cutscene beispielsweise noch zu lang ist und wir ein bisschen nachbessern müssen. In sogenannten Reworks wird dann die Cutscene solange überarbeitet, bis sie auch wirklich all unsere Ansprüche erfüllt.

Sind diese Arbeiten abgeschlossen, beginnt die eigentliche Realisierung. Anders als beim Vorgänger setzen wir bei „Drakensang: Am Fluss der Zeit“ verstärkt auf Motion Captureing. Dank dieser Technik, die wir euch schon ausführlich im sechsten Entwicklertagebuch „Animationen“ erläutert haben, hat die filmische Qualität der Cutscenes enorm zugenommen. In den bekannten Pinewood-Studios in London haben wir zusammen mit drei Schauspielern sämtliche Bewegungsabläufe in den Cutscenes aufgenommen. „Nur drei Schauspieler“, mögt ihr denken? Ja, denn diese drei übernahmen sämtliche Rollen, ob nun Menschen, Zwergen, Elfen oder die diversen Monster. Alle drei haben reichlich Erfahrung als Puppenspieler, weshalb sie sich hervorragend in die Figuren hineinversetzen und die unterschiedlichen Bewegungsarten nachempfinden konnten.

Ist diese Hürde erst mal geschafft, ist der restliche Aufwand nicht mehr ganz so groß. Die fertigen Animationen werden lediglich den verschiedenen Charakter-Typen übergestülpt. Auch erspart uns unser neuer framebasierter Cutscene-Editor viel Arbeit. Mit diesem können unsere Cutscene Animatoren ganz unkompliziert genau bestimmen, was wann wo und wie passieren soll.

Allerdings besteht eine Cutscene nicht nur aus Bewegung. Auch die Geräuschkulisse – insbesondere das gesprochene Wort – ist von großer Bedeutung. Oft führen wir daher bei uns im Haus Probevertonungen durch. Hierfür trommeln wir alle Kollegen zusammen, von denen wir denken, dass sie stimmlich zu den Figuren passen. In einem separaten Raum gehen wir dann die Drehbücher durch und nehmen alle Dialoge auf. Das ist nicht nur eine sehr witzige Angelegenheit, sondern auch sehr hilfreich, denn so können wir feststellen, ob die Dialoge tatsächlich funktionieren. Unter Umständen kann ein Gespräch plötzlich sehr anzüglich klingen, obwohl es gar nicht anzüglich gemeint ist – oder umgekehrt. Dieser Gefahr beugen wir mit den Probevertonungen vor.

Für die wichtigsten Cutscenes, z.B. für Intro und Extro, fertigen wir zudem Animatics an. Animatics sind animierte Storyboards, die schon rudimentär mit Dialog und Geräuschkulisse versehen sind. Auch probieren wir hier schon erste Kamerafahrten aus, indem wir mit der Kamera über die Bilder fahren oder in sie hineinzoomen. Zwar ist der Aufwand dafür recht groß, doch wollen wir nichts dem Zufall überlassen.

Aber keine Sorge! Nur weil die Cutscenes nun aufwendiger und professioneller sind, heißt das nicht, dass ihr einen interaktiven Film spielt und ihr in euren Freiheiten eingeengt werdet. Den Fokus legen wir nach wie vor ganz klar auf das Gameplay, und die Cutscenes tragen lediglich ihr Quäntchen dazu bei, dass das Spielerlebnis noch unvergesslicher wird. Cutscenes und aktives Spielgeschehen fließen zusammen und ergeben ein harmonisches Ganzes.

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geschrieben von Torgan