Zu einer Zeit, als in den Garagen unserer Republik nicht nur Autos und Rasenmäher repariert, sondern auch Computerspiele programmiert wurden, fesselte Das Schwarze Auge: Schatten über Riva von der schwäbischen Spieleschmiede Attic unzählige Fans wochenlang an die Bildschirme.
Das interaktive Pendant zum erfolgreichen Pen&Paper-Rollenspiel gebar seit 1992 zwei Nachfolger und verkaufte sich weltweit 2,4 Millionen Mal. Nach dem dritten Teil der Nordland-Trilogie im Jahr 1996 ist es allerdings ruhig um Das Schwarze Auge geworden, was Computerspiele betrifft. Attics DSA-Versionen wurden innerhalb der Nordland-Trilogie technisch nur geringfügig verbessert, neue Rollenspiele mit innovativer Technologie drängten in den Markt ...
Zehn Jahre später stehen wir in den Spielestudios von Radon Labs, dem Entwickler hinter Project Nomads. Im Berliner Bezirk Mitte ist kein Garagenteam zugange, sondern eine 50 Mann starke Truppe mit hoch qualifizierten Grafikern, Programmierern und Level-Designern. Hier entwickelt man High-Tech-Engines, will gerüstet sein für den Wettbewerb mit internationalen Spitzenstudios.
Schließlich wird nicht mehr Freakware auf 3,5"-Disketten produziert, sondern man riskiert für Großproduktionen heutzutage Millionenbudgets. Das Team von Radon Labs hat sich einen heimlichen Traum erfüllt. Bereits seit 2003 werkeln die Berliner in tiefster Verschwiegenheit an Das Schwarze Auge: Drakensang.
Rundenweise Randale
"Wir sind absolute DSA-Fans, wir lieben diese Welt", bekennt Firmen-Mitgründer Bernd Beyreuther. Die Berliner haben ganz konkrete Vorstellungen, wie im Gegensatz zu vielen rein actionorientierten Genre-Vertretern ein "richtiges" Rollenspiel auszusehen hat. "Wir haben es auf die Formel 'Baldur's Gate in 3D' gebracht", erklärt der Radon-Labs-Chef. "Das bedeutet, dass wir ein Rollenspiel machen, bei dem man in einer Gruppe loszieht, mehrere Charaktere entwickelt und in taktik- und strategieorientierte Kämpfe verwickelt wird."
Dazu würzt das Studio den eigentlich rundenweise nach DSA-Regelwerk ablaufenden Schlagabtausch mit Action-Spielzutaten wie vielfältige Kampfbewegungen und spektakuläre Spezialeffekte. "Wir wollten ähnlich wie bei Baldur's Gate ein rundenbasiertes Kampfsystem implementieren, aber uns war sofort klar, dass das Geschehen mit einer viel actionreicheren Anmutung inszeniert werden muss", erklärt Bernd Beyreuther.
"Der Spieler ist heutzutage einfach an höchstes technisches Niveau gewöhnt. Wir wollen also mehr Geschwindigkeit ins Spiel bekommen, ohne dass der Spieler die Kontrolle über die Gruppe verliert." Die Scharmützel können jederzeit pausiert werden; bestimmte Formationen der vierköpfigen Gruppe, die richtige Wahl des Angriffs und der Waffe bestimmen über Wohl und Wehe der kunterbunten Heldenschar.
Best Side Story
"Bei uns entscheiden die Fähigkeiten der Charaktere über den Ausgang eines Kampfes und nicht die Klickgeschwindigkeit der Spieler", sagt Bernd Beyreuther. Neben einem strategisch angelegten Spielkonzept steht bei Radon Labs für die Umsetzung von Das Schwarze Auge: Drakensang außerdem die Erzählung einer übrzeugenden, epischen Fantasy-Geschichte ganz oben im Pflichtenheft.
"Baldur's Gate in 3D als Vision bedeutet für uns auch, dass die Charaktere und die Story sehr wichtig sind. DSA ist ja keine statische Welt, sondern ein gewaltiges, lebendes Universum, das laufend von 20 bis 30 Redakteuren erweitert wird." Die Bemühung um eine akkurate Erzählung ist in den Räumen von Radon Labs offensichtlich. Stapelweise türmt sich die DSA-Hauspostille Der Adventurische Bote (mit Nachrichten über die neuesten Ereignisse in der Fantasiewelt) auf den Schreibtischen; die Belegschaft blättert regelmäßig in dicken Nachschlagewerken über berühmte Recken und Unholde des verwunschenen Reiches.
Die wichtigste Ressource schlägt jedoch Bernd Beyreuther im Versammlungsraum des Unternehmens auf: Eigens für Drakensang beauftragten die Berliner zwei DSA-Autoren, die dem Studio eine über 1.000 Seiten starke Hintergrundgeschichte lieferten. Seit Monaten ist das Team damit beschäftigt, die eigens für das Spiel ersonnenen Ereignisse in Adventurien in kleine, leicht verdauliche Happen zu zerschnipseln und in einzelne Quests umzuarbeiten.
Talkshow
Transportmittel für den Fortlauf der Handlung und der Darstellung der Charaktere sollen ausgefeilte Dialoge sein. Vor interaktiven Textlawinen, die sich oftmals als quälende Parkkralle für abenteuerhungrige Spieler entpuppen, will man DSA-Fans dennoch bewahren. "Wir haben vorgegeben, dass die Textlängen in den Dialogbäumen möglichst kurz bleiben", sagt Projektleiter Jan Lechner. "Ein Mitarbeiter beschäftigt sich zurzeit nur damit, die Textlänge auf ein Minimum zu reduzieren."
Außerdem, so verspricht Lechner, seien dynamische Entscheidungspunkte vorgesehen, anhand derer der Spieler wählen könne, ob er noch mehr Informationen über die Quest, die Charaktere oder die jeweilige Gegend abrufen will. "Er kann sich natürlich nur die Informationen holen, die er gerade für die aktuelle Aufgabe benötigt und dann den Dialog abbrechen", verspricht Lechner. Viel versprechend wirkt bereits jetzt die grafische Umsetzung von Drakensang.
Obwohl der Titel erst Ende nächsten Jahres in den Läden stehen dürfte, wirkt das Märchenreich bereits jetzt überraschend detailliert. Auf Art Director Martin Elsäßer und sein Team wartet trotzdem noch reichlich Arbeit. "Die Welt von Adventurien ist ziemlich groß, und uns war früh klar, dass wir schnell einen Prototypen machen mussten, um möglichst bald das Spiel testen zu können", erklärt der Chef-Grafiker. "Das heißt, die ganze Welt ist bereits jetzt spielbar, wird aber oftmals durch grafische Platzhalter repräsentiert, die noch nicht texturiert sind."
Stilistisch lässt das gesamte Konzept von DSA die Orientierung an historischen Gebäuden und Gegenden zu. Das im Spiel dargestellte Mittelreich von Adventurien ist mit seiner starken historischen Verwurzelung nämlich durchaus vergleichbar mit dem Mitteleuropa des 14. Jahrhunderts.
Daher schwärmt das Grafikteam in regelmäßigen Abständen aus, um Burgen und alte Stadtkerne in Thüringen und Sachsen zu studieren. Fachwerkhäuser in DSA verfügen so über ähnliche Giebelformen wie die historischen Originale. Selbst die so genannte Wetterfront, eine im Mittelalter typische Schieferverkleidung zum Schutz der zur Regenseite zugewandten Gebäudeseite, findet sich im Spiel.
Burgenland
Elsäßers bisheriges Meisterwerk ist die komplexe Konstruktion der Burg Grimmzahn. Gerade bei solchen größeren Anlagen hält er es für unerlässlich, sich historischer Vorbilder zu bedienen, um eine glaubwürdige Architektur zu erreichen. Bauteile aus Holz sind in Grimmzahn genauso wie im historischen Vorbild deswegen immer möglichst weit oben eingesetzt, weil sie verwundbarer gegen Angriffe sind. Die Burg verfügt über mehrere Innenhöfe, um Verteidigungslinien aufbauen zu können und eine vollständige Einnahme zu erschweren.
"Wir übernehmen Burgen zum größten Teil eins zu eins aus der Realität, weil die Bauweise Prinzipien folgt, deren Begründung man sich heute gar nicht mehr gegenwärtig ist", erklärt Martin Elsäßer. "Ein Beispiel für die Tricks mittelalterlicher Baukunst ist, dass Aufgänge zu Burgen immer links herum führen. Der Grund ist, dass Ritter zu damaliger Zeit die Schilde stets links trugen und so die Angreifer ihre am wenigsten geschützte Seite den Bogenschützen von der Burg aussetzen mussten."
Eine ähnliche Hingabe zum Detail steckt in der Gestaltung der Waffen und der Ausrüstung. Jede einzelne Waffe verfügt neben den Farbtexturen über eine so genannte Specular Map, die die Intensität des Glanzes festlegt. Im Ergebnis schimmern Metallbeschläge einer Armbrust mehr als der Holzschaft. Zusätzlich verwendet Radon Labs für jeden Gegenstand eine Normal Map, die die Struktur der Waffe nachzeichnet und so Holzmaserungen und feinste Ziselierungen im Metall plastisch erscheinen lässt.
Sammlerstücke
Elsäßer weiter: "Der Spieler entwickelt ja seine Charaktere und sammelt Gegenstände, auf die er stolz sein soll. Daher soll er auch stets in der Lage sein, seine Helden aus der Nähe zu betrachten und ein detailliertes optisches Feedback erhalten." Da es jedoch hunderte von Ausrüstungsgegenständen gibt, greift man tief in die Trickkiste. Über einen Editor kann ein einmal entworfener Ausrüstungsgegenstand automatisch skaliert und derselbe Gegenstand den Rassen schnell angepasst werden.
Sie sammeln die Schätze in einem riesigen Gebiet: Allein die Region des dargestellten Mittelreiches umfasst eine Fläche von 900 Quadratkilometern. Insbesondere eine spezielle Fantasy-Metropole dürfte dabei einen Besuch wert sein: "Wir planen, eine Stadt mit 3.000 Einwohnern nachzubauen", verrät Level-Designer Sven Fahrenwald. Um welche adventurische Stadt es sich dabei handelt, möchte er jedoch noch nicht enthüllen. Dadurch, so mutmaßt der Weltenbauer, könne DSA-Fans bereits zuviel von der Geschichte vorweggenommen werden ...
(Christoph Holowaty)