Entwicklertagebuch #15
Datum: 03.03.2010

Der Sound von „Drakensang: Am Fluss der Zeit“ oder Wo Peter und der Wolf auf Bruce Willis treffen

Hört ihr das Rauschen der Bäume am Fluss der Zeit? Es klingt so täuschend echt, dass ihr das Gefühl habt, der Wind streicht über eure Haut. Wenn ihr mit eurer Party müde von euren Abenteuern nachts am Flussufer rastet, bringt euch das Knistern und Knacken der Holzscheite in eine sehnsüchtige Stimmung von Lagerfeuerromantik. Für diese realistische Geräuschkulisse sorgt vor allen Dingen unser Sound-Engineer Florian Bodenschatz, der in seinem Studio die verschiedensten Laute, Töne und Geräusche zusammenstellt und diese dann in das Spiel integriert. Ganz neu wird im zweiten Teil von „Drakensang“ die Vollvertonung hinzukommen. Was genau das bedeutet, wie die Sounds erzeugt werden und was die Musik in Peter und der Wolf mit „Drakensang: Am Fluss der Zeit“ zu tun hat, erfahrt ihr im fünfzehnten und letzten unserer Entwicklertagebücher.

Zunächst einmal wollen wir euch in die Welt der Geräusche im zweiten Teil von „Drakensang“ entführen. Wie entstehen sie und wie kommen sie ins Spiel? Florian Bodenschatz kennt viele Tricks und Methoden, die unterschiedlichsten Sounds zu zaubern. So stehen in seinem Studio viele Kisten mit einer kunterbunten Sammlung von Gegenständen und Materialien wie Sand, Metall und Holz, mit deren Hilfe er alle möglichen Geräusche erzeugen kann. Diese bearbeitet er dann am Computer und versieht sie mit Effekten. Zum Teil kombiniert er sie auch mit schon fertigen Samples. Besonders bei Sounds, die in unserer realen Welt nicht zu finden sind, muss Florian mit Effekten arbeiten.

Ein Beispiel: Ein großer Oger drischt auf die Metallrüstung seines Gegners ein. Dieses Geräusch wird erzeugt, indem unser Toningeneur vor dem Mikrofon eine Minute lang mit der Faust auf ein Metallstück haut. Der Soundingenieur hört sich anschließend alle von den Schlägen erzeugten Geräusche an und sucht die heraus, die sich am besten eignen. In diesem Fall würden aber alle Klänge trotzdem noch zu harmlos rüberkommen. Darum müssen sie so bearbeitet werden, dass sie tiefer und gefährlicher – im wahrsten Sinne des Wortes eben ungeheuerlich – klingen. Für Geräusche, die Monster oder andere nicht humane Figuren machen, werden auch häufig tierische Laute (ein brüllender Bär, ein kreischender Affe, usw.) mit menschlichen gemixt. Wenn die Sounds dann irgendwann stehen, müssen sie programmiert und ins Spiel eingebunden werden. Dafür geht unser Sound-Engineer durch alle Levels und schaut, wo er welchen Sound platzieren möchte. Kommt er zum Beispiel an ein Lagerfeuer, wird er dort das Knistern und Knacken verbrennender Zweige einspielen. So verfährt er mit allen Dingen, die schon ihren Platz am Fluss der Zeit haben.

Und solche Sounds, die erst im Verlauf des Spiels auftauchen – wie zum Beispiel der Oger, der auf eine Metallrüstung einhaut? Dafür gibt es Tabellen, die unsere Programmierer erstellen. In denen steht dann: Material X trifft Gegenstand Y. Florian hat die ganzen Sounds vorbereitet und trägt in die Tabelle ein, welcher Sound dem jeweiligen Material bzw. Gegenstand entspricht. Auch bei den Animationssounds, also den Geräuschen, die die Figuren machen, wenn sie sich bewegen, arbeiten wir mit einer solchen Tabelle.

Neben einer so realistisch wie möglich wirkenden Geräuschkulisse darf natürlich noch etwas in einem guten Spiel nicht fehlen: ein toller Soundtrack. Für „Drakensang: Am Fluss der Zeit“ wollten wir einen orchestralen Soundtrack. Dabei war aber eins besonders zu beachten: Wie ihr ja nun bereits wisst, ist unser Nachfolger von „Drakensang“ eigentlich ein Prequel, das in der guten alten Zeit vor 23 Jahren spielt. Da haben wir uns überlegt, dass wir natürlich auch beim Soundtrack auf diesen Umstand eingehen sollten. Wir wollten eine Musik, die Retrocharakter hat, ohne dabei altmodisch oder unzeitgemäß zu klingen. Das war eine wirklich schwierige Aufgabe. Etliche Stunden haben wir nur damit verbracht, Soundtracks anzuhören und zu diskutieren.

Von unserer Seite also kommen die Ideen, wie man die „gute alte Zeit“ auch in der Musik aufleben lassen könnte. Die Verantwortung für den Soundtrack bzw. die Umsetzung dieser Ideen haben wir aber an das renommierte Studio Dynamedion weitergegeben. Den Leuten dort haben wir auch unsere Wunschvorstellung mitgeteilt, was das allgemeine Musikkonzept betrifft. Im ersten Teil von „Drakensang“ hatten wir ja eine level- bzw. locationbasierte Musik. Das war uns zu statisch und wir wollen musikalisch mehr die Charaktere hervorheben. Jeder Charakter soll ein eigenes musikalisches Thema á la „Peter und der Wolf“ bekommen. Wir wollen damit noch gezielter als in „Drakensang“ die Dramaturgie mit der Musik unterstützen. Das hört sich dann so an: Wenn ihr euch am Fluss befindet, spielt die „Flussmusik“. Wenn der Bösewicht oder seine Schergen auftreten, wird durch die Musik schon Spannung erzeugt und ihr wisst: Aha! Gleich passiert etwas. Ihr sollt also mit der Musik die entsprechenden Figuren und das, was sie repräsentieren, assoziieren: Gefahr, wenn das musikalische Thema des Bösewichts erklingt, und positive freundschaftliche Gefühle, wenn die Musik ertönt, die zu eurem Charakter und seiner Party gehört.

„Drakensang: Am Fluss der Zeit“ hält aber noch etwas ganz Besonderes für euch bereit: Im Gegensatz zum ersten Teil haben wir dieses Mal eine Vollvertonung. Das bedeutet, dass jede Zeile Text von einem Sprecher gelesen wird. Die einzige Figur im ganzen Spiel, die nicht selbst sprechen wird, seid ihr. Das ist auch so beabsichtigt, denn der Erfahrung nach ist es eher nervig, wenn man sich selbst im Spiel reden hört. Um eine qualitativ hochwertige Vertonung zu bekommen, braucht es natürlich sehr gute Sprecher – Profis mit jahrelangem Training, die ihre Stimme unheimlich gut kontrollieren und dementsprechend auch modulieren können. Immerhin nehmen wir ungefähr 13.000 Takes auf, von denen jeder bis zu 250 Worte umfassen kann. Für unser Spiel haben wir mehr als vierzig Sprecher, denen mehrere Rollen zugeordnet werden. Dabei muss darauf geachtet werden, dass ihre Rollen gut über das Spiel verteilt sind und nicht zu oft vorkommen. Das alleine ist schon eine Wissenschaft für sich. Es wird dann eine „Soundmap“ errechnet, an der sich ablesen lässt, wo die Sprecher eingesetzt werden müssen.

Die Sprecher werden in drei Kategorien unterteilt. Da gibt es die „uniquen“ Sprecher mit nur einer Rolle und die sogenannten Spezialsprecher, die vielleicht mehrere Rollen, vor allem jedoch auch eine Hauptrolle sprechen. Und dann sind da noch die Sprecher, die alle generischen Figuren sprechen, sprich: Bauern, Piraten, Seemänner, Soldaten etc. – die werden nach Alterskategorien zusammengesucht. Nicht unbedingt sprechen die besten Sprecher auch immer die Hauptrollen. Gerade bei den generischen Rollen bietet es sich an, jemanden zu haben, der seine Stimme auf die vielfältigste Weise einsetzen und verstellen kann. Bei der Vertonung von „Drakensang“ kam es vor, dass ein Sprecher auch mal bis zu 20 Rollen gesprochen hat.

Wie unter Schauspielern gibt es auch unter den Sprechern Stars – man denke da nur an die Synchronstimme von Robert Redford. Da uns für euch nichts zu schade ist, hatten wir auch schon beim ersten Teil von „Drakensang“ die Star-Riege unter den Vortragskünstlern gebucht – so zum Beispiel die Synchron-Stimmen von Bruce Willis und Winona Ryder.

Eine große Schwierigkeit bei den Tonaufnahmen besteht darin, immer zu wissen, wo genau der Take, der gerade aufgenommen wird, im Spiel vorkommt. Wir haben während der Aufnahme keinen Zugriff auf das Spiel, und die Takes werden auch nicht chronologisch aufgezeichnet. Wir wissen lediglich, welche Figur gerade spricht, und wir haben die Regieanweisungen vom Autor: Figur flüstert, ist traurig, hat es eilig, etc. Die Tonaufnahmen im Studio sind zweifellos extrem stressig, machen jedoch unheimlich viel Spaß und sind sehr interessant. Auch gibt es allerhand Kurioses zu erleben, wenn man einen Tag in so einem Tonstudio verbringt. Da war zum Beispiel ein Sprecher, der kam ins Studio und sah genauso aus wie die Figur, die er sprechen sollte. Der verkündete in perfekter rau-cooler „Stirb langsam“-Stimme: „Mann, ich hasse diese harten Rollen!“ Oder Frau Antoni, die schon zu DDR-Zeiten die ganzen Märchenfilme vertont hatte. Das war so eine kleine Frau, die aussah wie die Märchenoma par excellence. Die hat diese ganzen fantastischen Figuren – Goblins, Feen, etc. – sowohl männliche als auch weibliche, perfekt gesprochen. Dabei legte sie eine so unglaubliche Energie an den Tag, dass es eine Freude war, ihr bei der Arbeit zuzusehen und natürlich zuzuhören.

Für den Part des Forgrimm, der ja eine der wichtigsten Rollen ist, hatten wir uns einen bestimmten Sprecher ausgeguckt. Aber das Studio Audio Berlin meinte, wir sollten lieber einen anderen nehmen. Einen gewissen Peter Groeger. Der würde auch den Spaß mitmachen und wäre genau der Richtige für den Zwerg. Zunächst waren wir skeptisch, weil sich Peter Groeger auf dem Sample, das wir hatten, etwas zu lustig anhörte. Forgrimm ist ja schließlich eine sehr komplexe Figur, die auch ihre dunklen Seiten hat. Doch die Leute aus dem Studio überredeten uns, es dennoch mit Peter Groeger zu versuchen. Und dann kam er. Er sah genauso aus wie die Figur, die er sprechen sollte und schaffte es perfekt, die Vielschichtigkeit Forgrimms herauszuarbeiten und ihn mal lustig, mal ernst melancholisch zu spielen. Obendrein war die Zusammenarbeit mit ihm äußerst angenehm, denn er war ein sehr lockerer und netter Mensch – Peter Groeger wurde mit zur besten Besetzung, die wir haben.

Bei den Sprechern gibt es die unterschiedlichsten Typen. Manche sitzen einfach nur da und agieren überhaupt nicht. Da denkt man sich: „Das geht doch nicht, die müssen sich doch irgendwie dazu bewegen!“ Tun sie nicht. Sie sitzen eben einfach nur da, sprechen – und es ist perfekt. Dann gibt es welche, die hampeln und springen rum, da fliegt fast das Mikro durch die Gegend – und es ist auch perfekt. Mit am faszinierendsten an dieser Arbeit ist es, zu sehen oder vielmehr zu hören, was man so alles aus Stimmern herausholen kann. Das grenzt stellenweise an Zauberei. Auch hört sich die Sprechstimme der Profis oft völlig anders an als ihre „normale“ Stimme, die sie im Alltag benutzen.

Zu guter Letzt bleibt uns eigentlich nur eines zu sagen: Wir hoffen, dass sich die viele Mühe und Arbeit, aber auch die Liebe, die wir in unser „Drakensang: Am Fluss der Zeit“ gesteckt haben, am Ende auszahlen und euch ein unvergleichliches Spielerlebnis bescheren. Auf dass euch der Begeisterungsstrudel des Großen Flusses ebenfalls ergreift und in faszinierende Tiefen zieht – alles begleitet von wunderschöner Musik, das versteht sich von selbst.

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geschrieben von Torgan